LASS UNS SPRACHEN TAUSCHEN!
Im Rahmen des metroZones-Schul-Camps hat eine Gruppe das »Sprachcafé« im Hamburger Stadtteil Veddel besucht. Ein Gespräch mit Nina Reiprich, einer der Initiator*innen.
DOCK EUROPE: Kannst du uns kurz etwas über den Stadtteil erzählen, in dem wir hier sind?
NINA REIPRICH: Die Veddel ist einer der Hamburger Stadtteile, in dem die meisten Menschen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrungen leben – seit Jahren liegt der Anteil bei 70 Prozent. Bei den Unter-18-Jährigen sind dies sogar 90 Prozent, im Stadtteil sind über 60 Nationen vertreten. Es gibt zwei nahegelegene Flüchtlingsunterkünfte und viele weitere Personen, die im Zuge der sogenannten Gastarbeiterbewegungen oder aus anderen Gründen nach Hamburg migriert sind. In den Schulen werden Kurse in den jeweiligen Muttersprachen angeboten, derzeit in Türkisch und Albanisch.
DE: Wie ist die Idee des Sprachcafés entstanden?
NP: Seit 2014 entwickelt New Hamburg einerseits kulturelle Veranstaltungen mit Stadtteilbezug, andererseits betreiben wir hier das Stadtteilcafé Café Nova, bei dem es auch, wie im gesamten Projekt, um Teilhabe, um Mitgestaltung und gemeinsames Kochen geht. Man muss wissen, dass es hier nur wenige Orte gibt, an denen Frauen mit ihren Kindern einen Kaffee trinken können. Dies war ein Grund, warum das Café als Idee entstand. So gehen wir allgemein vor, wenn wir kulturelle Veranstaltungen planen – wir suchen nach Impulsen, Ideen und Beiträgen aus dem Stadtteil und wollen gerade kein Satellitenprojekt sein. Als drittes Standbein besuchen wir regelmäßig die Unterkünfte für geflüchtete Menschen im Viertel. Wir sagen Hallo und fragen: Gibt es Bedürfnisse und Bedarfe? Wir besuchen die Unterkünfte, aber laden auch zu uns ein und werden selber oft zum Tee eingeladen. Aus diesen Besuchen heraus entstand vor allem bei jungen Männern der Wunsch, einen Ort zu finden, an dem man nicht nur lernt, sondern an dem man auch sprechen, die Sprache also benutzen kann – in dem Fall Deutsch. Für uns war klar, wir wollen nicht einfach einen weiteren Unterrichtsort gestalten, sondern möchten gern die gesamte Nachbarschaft einladen: Wir sprechen alle verschiedene Sprachen, lass uns doch gemeinsam unsere Sprachen kennenlernen, lass uns Sprachen tauschen. Deswegen haben wir eingeladen zum Sprachen-Tauschen.
DE: Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Angebot, Sprachen zu tauschen, gemacht?
NR: Unser Sprachcafé hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, was man
gut an unseren Materialien sehen kann. Am Anfang habe ich immer
ein Thema in ganz vielen Sprachen auf die Tische gelegt. Mit Google-Translator wurden die Sprachen gesucht und Fragen zum Thema ausgelegt.
Da sind erst mal ganz viele Menschen gekommen, die vor
allem Deutsch lernen wollten, aber nur wenige wollten eine andere
Sprache lernen. Deswegen habe ich im Laufe der Zeit immer mehr
Materialien hinzugelegt, die aus der Deutsch-als-Fremdsprache-Didaktik
kommen.
Aktuell sind wir dabei, die bislang einsprachigen Materialien zum
Deutschlernen wieder mehrsprachig umzuwandeln. Ein Memory, das
zur Zeit mit Bildern und Deutsch funktioniert, wird umgestaltet mit
verschiedenen Sprachen. So kann man sagen »Heute mach ich
Deutsch und Farsi«, nächste Woche vielleicht Arabisch und Englisch.
Mittlerweile ist das Thema Mehrsprachigkeit im gesamten Projekt
verortet. Im Café steht über dem Tresen der Satz »Ich möchte bitte
einen Kaffee, ich möchte etwas zu essen« in fünf verschiedenen
Sprachen. Aber da sieht man schon das erste Problem, wenn man anfängt,
mit Mehrsprachigkeit zu arbeiten: Bei der Übertragung der Sätze
an die Druckerei hat es uns die arabischen und persischen Buchstaben
total verhauen, die sind alle falsch.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die traditionelle Workshopstruktur auf wenig Interesse stößt und kaum Besucher*innen einlädt. Deswegen machen wir das eher auf spielerische Weise. Wir versuchen es mit mehrsprachiger Karaoke: »Singe Lieder in Sprachen, die du nicht sprichst.« Auf den Stadtteilfesten haben wir angefangen, die Menschen zu fragen: »Welche Sprache sprichst du, was bedeutet überhaupt Sprache für dich?« Über das Sprachcafé werden offiziell auch Sprachschnupperkurse in More, Arabisch, Farsi, Paschtu angeboten. Damit sollen Menschen in die Position gebracht werden, auch mal zu unterrichten und nicht immer nur unterrichtet zu werden.
DE: Wie kann Mehrsprachigkeit im Alltag gelingen?
NR: Das Ziel ist, die Menschen aktiv an einen Ort einzuladen, wo Deutsch nicht die einzige Sprache sein muss, die gesprochen wird. Bei großen Veranstaltungen organisieren wir, wenn möglich, Dolmetscher und es gibt selbstorganisierte Kleingruppen mit Murmelübersetzungen. Ein elementarer Bestandteil ist auch das Übersetzen in »leichte Sprache«, um zu signalisieren: Okay, ich spreche zwar deine Sprache nicht, aber ich kann dir zumindest den Behördenbrief in einfaches Deutsch übersetzen. Das Übersetzen passiert die ganze Zeit: hier im Café, wenn wir die Unterkünfte besuchen und auch auf der Straße. Ich habe das Gefühl, es entsteht langsam eine gemeinsame Praxis der Mehrsprachigkeit, zum Beispiel, wenn es ums Übersetzen von Flyern geht. Da heißt es manchmal: »Hey, gib mir deine Sprache, ich gebe dir meine.«